Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Neo-Biedermeier. Im 19. Jahrhundert war das Biedermeier eine Reaktion auf das Ende der Napoleonischen Ära. Was machte diese Epoche aus? Der Rückzug ins Heim, ein intensiviertes Familienleben, Kammermusik, Sticken, Nähen.

 

Auch heute führen Globalisierung, Kriege und Flüchtlings- migrationen zu einer zunehmenden Erschütterung der prästabilen politischen Landschaft. Das Krisengefühl ist permanent. Was folgt? Die Furcht vor der Geschwindigkeit des Lebens (wir werden überrannt), vor der Ohnmacht gegenüber globalen Dynamiken (wir werden überlaufen) und vor dem Verlust unserer Privatsphäre aufgrund der Digitalisierung der Welt (wir werden überwacht).

All das führt wieder zu einer Flucht in das Bewährte – ins private Zuhause. Die Eichenschrankwand ist wieder in, ebenso wie Handarbeit. Die Welt steht in Flammen, und die Menschen spinnen sich ein in ihren Kokon. Die Serie Das Biedermeier-Phantasma klopft mit dem Stimm- hämmerchen an diese heile Welt. Samt aller geblümten Tapeten und dekorativen Biedermeiermöbel, aller Ritter- rüstungen und überdimensionierten Wappen öffnet sich Burg Hülshoff einer Befragung der eigenen Geschichte, der eigenen Prämissen und der eigenen Phantasmen. Und Phantasma heißt zwar im Denken Europas »inneres Vorstellungsbild«. Woanders aber (etwa in México) ist das Phantasma ganz einfach – ja! –: Gespenst.

 

In Teil 1 des Biedermeier-Phantasmas wird dann auch heimgesucht – von Stimmen, das heißt vor allem von der eigenen Stimme. Die feudalen Referenzen des Ta- rots treffen auf die revolutionären Mythologien der Moderne. Das Tarot-Kartenspiel Industrie und Glück, das die Künstlerin und Autorin Anna Zett entworfen hat, spielt mit Motiven – nein, nicht des Biedermeiers –, sondern der Weimarer Republik, also einer Zeit, die einen echten gesellschaftlichen Bruch bedeutete: den hin zur Demokratie. Der letze Rest Biedermeier verschwand aus den Städten. Und wie immer in turbulenten Zeiten verdichten sich auch die Widersprüche: Was bedeutet es, politisch und emotional, seine Stimme abzugeben? Wer hat keine Stimme, und wieso? Wie finde ich meine eigene Stimme, und wozu?

 

Begleitet von der Musikerin und Performerin Lina Krüger, legt Anna Zett die Karten ihres Decks in einer partizipa- tiven Gruppensitzung. Die Stimmen aller Teilnehmenden werden aktiviert, um gemeinsam herauszufinden, was Karten wie »Der Rat der Nerven«, »Die Persona« oder die »Die Fünf der Papiere« bedeuten könnten. Hinhören, Einstimmen, Abstimmen, Widersprechen. Was stimmt? Was nicht?

 

Kamera & Schnitt: Philipp Wachowitz