Poetik des Publikums

Unter diesem Stichwort startet Burg Hülshoff – Center for Literature eine Langzeituntersuchung, an der alle beteiligt sind, die kommen oder uns aus der Ferne, über das Netz, begleiten.

Absichtlich falsch übersetzen wir diesen Fokus mit Poetics of the public. »Publikum« wäre im Englischen eher »audience». »The public» ruft das Öffentliche auf, also die Frage, wie es mit den öffentlichen Räumen heute überhaupt aussieht.

Publikum verändert sich. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die sogenannte KLASSISCHE Zuschauer*innenschaft aufgelöst, die vielleicht nur für eine relativ kurze Zeit in der noch jungen Bundesrepublik bestand – und schon in der DDR ganz anders aussah.

Keinesfalls verfällt hier etwas. Im Gegenteil. Zuschauer*innen sind anspruchsvoller geworden, sie sind oft besser gebildet als vor Jahrzehnten noch, sie haben nicht mehr alle DENSELBEN Background – und sie wollen nicht nur zum Zuhören und Zuschauen geladen werden.

Burg Hülshoff – Center for Literature forscht, wie Literatur im öffentlichen Rahmen verhandelt werden kann. Dafür muss sie anders präsentiert werden als über Wasserglaslesungen, bei denen der allwissende Dichter mit einem Vertreter des Feuilletons auf dem Podium sitzt.

Das CfL erfindet gemeinsam mit Künstler*innen, Partner-Institutionen und Besucher*innen Formate, die von vornherein anders funktionieren, die keine Dialoge scheuen: weder die zwischen Künsten und gesellschaftlichen Sphären noch zwischen den daran beteiligten Menschen.

So startet 2018 das Projekt Lesebürger*innen: eine Gruppe von Menschen aus Münster und Münsterland, die regelmäßig zusammenkommt – mal im Rüschhaus, mal auf der Burg. BÜRGER*IN kommt ja ursprünglich auch von BURG. Vor der Lesung einer Autorin liest die Gruppe in ihren Roman hinein und spricht über Text und Biografie. Die Lesebürger*innen begleiten dann auch die Veranstaltung in unterschiedlichen Rollen.

So werden Fragen aufgeworfen: Wie kann durch Literaturveranstaltungen ein öffentlicher Raum entstehen? Und wie ein Gespräch über die Qualität dieses Öffentlichen? Und – nicht zuletzt: Wo und wie sind wir heute öffentlich? Auf dem Marktplatz? Oder auf Facebook? Sind unsere Daten öffentlicher, als wir es selbst sein wollen? Sind wir dort, wo wir ganz öffentlich sind, gleichzeitig privat? Oder nur Fiktion?