Poetik des Publikums - Wilko Franz
Wilko Franz ist durch das Schreiben von allerlei Geschichten, Gedichten und Konzepten und erste Theatererfahrungen (Skript, Dramaturgie- und Regieassistenz) von 2004-2007 in die Münsteraner Kunst- und Kulturszene eingetaucht. Oder abgerutscht. Ganz wie man möchte.
Dies führte direkt blauäugig aber voller Ideale in 2009 zur Organisation des ersten von bislang sechs spartenübergreifenden RESET-Festivals - damals rund um das gleichnamige Tanztheaterstück. Mit einem blauen Auge und den verbliebenen Idealen davongekommen, ging es weiter mit der eigenen Wohnzimmershow Die Leserpistole, ab 2011 als Teil der Lesebühne Krawehl und in den folgenden Jahren mit immer mehr kleinen oder großen Kulturmischkonzepten.
Als Quereinsteiger ist er so nun seit über 10 Jahren professionell im Münsterland unter dem »RESET mixed arts« Label tätig. 2019 hat er die künstlerische Leitung beim neugegründeten RESET e.V. übernommen.
Als Arbeitsschwerpunkte haben sich die Entwicklung neuer Formate, die Inszenierung, Kuration und Durchführung von spartenübergreifenden und ortsspezifischen Kunst- und Kulturprojekten, sowie die Programmierung besonderer Musikfestivals zwischen Konzert und Performance herauskristallisiert.
Poetik des Publikums
Unter diesem Stichwort startet Burg Hülshoff – Center for Literature eine Langzeituntersuchung, an der alle beteiligt sind, die kommen oder uns aus der Ferne, über das Netz, begleiten.
Absichtlich falsch übersetzen wir diesen Fokus mit Poetics of the public. »Publikum« wäre im Englischen eher »audience». »The public» ruft das Öffentliche auf, also die Frage, wie es mit den öffentlichen Räumen heute überhaupt aussieht.
Publikum verändert sich. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die sogenannte KLASSISCHE Zuschauer*innenschaft aufgelöst, die vielleicht nur für eine relativ kurze Zeit in der noch jungen Bundesrepublik bestand – und schon in der DDR ganz anders aussah.
Keinesfalls verfällt hier etwas. Im Gegenteil. Zuschauer*innen sind anspruchsvoller geworden, sie sind oft besser gebildet als vor Jahrzehnten noch, sie haben nicht mehr alle DENSELBEN Background – und sie wollen nicht nur zum Zuhören und Zuschauen geladen werden.
Burg Hülshoff – Center for Literature forscht, wie Literatur im öffentlichen Rahmen verhandelt werden kann. Dafür muss sie anders präsentiert werden als über Wasserglaslesungen, bei denen der allwissende Dichter mit einem Vertreter des Feuilletons auf dem Podium sitzt.
Das CfL erfindet gemeinsam mit Künstler*innen, Partner-Institutionen und Besucher*innen Formate, die von vornherein anders funktionieren, die keine Dialoge scheuen: weder die zwischen Künsten und gesellschaftlichen Sphären noch zwischen den daran beteiligten Menschen.
So startet 2018 das Projekt Lesebürger*innen: eine Gruppe von Menschen aus Münster und Münsterland, die regelmäßig zusammenkommt – mal im Rüschhaus, mal auf der Burg. BÜRGER*IN kommt ja ursprünglich auch von BURG. Vor der Lesung einer Autorin liest die Gruppe in ihren Roman hinein und spricht über Text und Biografie. Die Lesebürger*innen begleiten dann auch die Veranstaltung in unterschiedlichen Rollen.
So werden Fragen aufgeworfen: Wie kann durch Literaturveranstaltungen ein öffentlicher Raum entstehen? Und wie ein Gespräch über die Qualität dieses Öffentlichen? Und – nicht zuletzt: Wo und wie sind wir heute öffentlich? Auf dem Marktplatz? Oder auf Facebook? Sind unsere Daten öffentlicher, als wir es selbst sein wollen? Sind wir dort, wo wir ganz öffentlich sind, gleichzeitig privat? Oder nur Fiktion?