Gebärdensprach-Poesie

Gebärdensprach-Poesie ist Literatur in Gebärdensprache.

 

 

Hier findet ihr Gebärdensprach-Poesie in Deutscher Gebärdensprache (DGS).

 

 

Informationen zu aktuellen Veranstaltungen mit Gebärdensprach-Poesie findest du auf unserer Website burg-huelshoff.de.

 

Droste in Bewegung

 

 

 

Die Gebärdensprach-Poetinnen Julia Kulda Hroch und

Laura Levita Valyte haben vier Gedichte der Dichterin

Annette von Droste-Hülshoff in Deutsche Gebärdensprache übersetzt:

Der Knabe im Moor, Am Thurme, Das Spiegelbild und

Die Mergelgrube. Dabei wurden sie unterstützt von der Tauben Professorin Dr. Liona Paulus und der hörenden Professorin Dr. Rita Morrien.

 

 

»Der Knabe im Moor«

 

übersetzt in DGS von Julia Kulda Hroch

Künstlerische Produktion: Franziska Winkler

Film und Schnitt: Urs Mader

  • »Der Knabe im Moor« von Annette von Droste-Hülshoff

     

     

    O schaurig ist's über's Moor zu gehn,
    Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
    Sich wie Phantome die Dünste drehn
    Und die Ranke häkelt am Strauche,
    Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
    Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
    O schaurig ist's über's Moor zu gehn,
    Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

     

    Fest hält die Fibel das zitternde Kind
    Und rennt als ob man es jage;
    Hohl über der Fläche sauset der Wind –
    Was raschelt drüben am Haage?
    Das ist der gespenstige Gräberknecht,
    Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
    Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
    Hinducket das Knäblein zage.

     

    Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
    Unheimlich nicket die Föhre,
    Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
    Durch Riesenhalme wie Speere;
    Und wie es rieselt und knittert darin!
    Das ist die unselige Spinnerin,
    Das ist die gebannte Spinnlenor',
    Die den Haspel dreht im Geröhre!

     

    Voran, voran, nur immer im Lauf,
    Voran als woll' es ihn holen;
    Vor seinem Fuße brodelt es auf,
    Es pfeift ihm unter den Sohlen
    Wie eine gespenstige Melodey;
    Das ist der Geigemann ungetreu,
    Das ist der diebische Fiedler Knauf,
    Der den Hochzeitheller gestohlen!

     

    Da birst das Moor, ein Seufzer geht
    Hervor aus der klaffenden Höhle;
    Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth:
    "Ho, ho, meine arme Seele!"
    Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
    Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
    Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
    Ein Gräber im Moorgeschwehle.

     

    Da mählig gründet der Boden sich,
    Und drüben, neben der Weide,
    Die Lampe flimmert so heimathlich,
    Der Knabe steht an der Scheide.
    Tief athmet er auf, zum Moor zurück
    Noch immer wirft er den scheuen Blick:
    Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
    O schaurig wars in der Haide!

     

     

    Gräberknecht] Torfstecher.

     

    Spinnlenor’] Die Davert, eine Waldheide südlich von Münster, war im Volksglauben ein Treffpunkt für die verschiedensten Gespenster, zu denen auch Spinnerinnen gehörten. Vgl. Das haspelnde Weib von F. Heitemeyer. Dieses wurde meist als Spinnlenore bezeichnet.

     

    verdammte Margreth] vgl. Spinnlenore: Im Münsterland war aber auch die Spinnmargrete bekannt, die von einer Hexe wegen ihres Fehlverhaltens auf ewig zum Spinnen in der Heide verurteilt worden war.

     

    Moorgeschwele] hier: Nebeldünste des Moors.

     

    Scheide] Grenzscheide zwischen Moor und festem Boden.

 

»Am Thurme«

 

übersetzt in DGS von Laura-Levita Valyte

Künstlerische Produktion: Franziska Winkler

Film und Schnitt: Urs Mader

  • »Am Thurme« von Annette von Droste-Hülshoff

     

     

    Ich steh' auf hohem Balkone am Thurm,
    Umstrichen vom schreienden Staare,
    Und laß' gleich einer Mänade den Sturm
    Mir wühlen im flatternden Haare;
    O wilder Geselle, o toller Fant,
    Ich möchte dich kräftig umschlingen,
    Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
    Auf Tod und Leben dann ringen!

     

    Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
    Wie spielende Doggen, die Wellen
    Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
    Und glänzende Flocken schnellen.
    O, springen möcht' ich hinein alsbald,
    Recht in die tobende Meute,
    Und jagen durch den korallenen Wald
    Das Wallroß, die lustige Beute!

     

    Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn
    So keck wie eine Standarte,
    Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
    Von meiner luftigen Warte;
    O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
    Das Steuerruder ergreifen,
    Und zischend über das brandende Riff
    Wie eine Seemöve streifen.

     

    Wär ich ein Jäger auf freier Flur,
    Ein Stück nur von einem Soldaten,
    Wär ich ein Mann doch mindestens nur,
    So würde der Himmel mir rathen;
    Nun muß ich sitzen so fein und klar,
    Gleich einem artigen Kinde,
    Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
    Und lassen es flattern im Winde!

 

»Das Spiegelbild«

 

übersetzt in DGS von Laura-Levita Valyte

Künstlerische Produktion: Franziska Winkler

Film und Schnitt: Urs Mader

  • »Das Spiegelbild« von Annette von Droste-Hülshoff

     

     

    Schaust du mich an aus dem Kristall,
    Mit deiner Augen Nebelball,
    Kometen gleich die im Verbleichen;
    Mit Zügen, worin wunderlich
    Zwei Seelen wie Spione sich
    Umschleichen, ja, dann flüstre ich:
    Phantom, du bist nicht meines Gleichen!
     

     

    Bist nur entschlüpft der Träume Hut,
    Zu eisen mir das warme Blut,
    Die dunkle Locke mir zu blassen;
    Und dennoch, dämmerndes Gesicht,
    Drin seltsam spielt ein Doppellicht,
    Trätest du vor, ich weiß es nicht,
    Würd' ich dich lieben oder hassen?
     

     

    Zu deiner Stirne Herrscherthron,
    Wo die Gedanken leisten Frohn
    Wie Knechte, würd ich schüchtern blicken;
    Doch von des Auges kaltem Glast,
    Voll todten Lichts, gebrochen fast,
    Gespenstig, würd, ein scheuer Gast,
    Weit, weit ich meinen Schemel rücken.
     

     

    Und was den Mund umspielt so lind,
    So weich und hülflos wie ein Kind,
    Das möcht in treue Hut ich bergen;
    Und wieder, wenn er höhnend spielt,
    Wie von gespanntem Bogen zielt,
    Wenn leis' es durch die Züge wühlt,
    Dann möcht ich fliehen wie vor Schergen.
     

     

    Es ist gewiß, du bist nicht Ich,
    Ein fremdes Daseyn, dem ich mich
    Wie Moses nahe, unbeschuhet,
    Voll Kräfte die mir nicht bewust,
    Voll fremden Leides, fremder Lust;
    Gnade mir Gott, wenn in der Brust
    Mir schlummernd deine Seele ruhet!
     

     

    Und dennoch fühl ich, wie verwandt,
    Zu deinen Schauern mich gebannt,
    Und Liebe muß der Furcht sich einen.
    Ja, trätest aus Kristalles Rund,
    Phantom, du lebend auf den Grund,
    Nur leise zittern würd ich, und
    Mich dünkt - ich würde um dich weinen!

     

     

     

    Kristall, Kristalles] Spiegel.
    Frohn] urspr.: Herrendienst; allgemein: schwere Arbeit.
    Glast] Widerschein.
    Schergen] veraltet für Gerichtsbeamte und Henkersknechte, die oftmals als unehrenhafte Personen galten.

 

»Die Mergelgrube«

 

übersetzt in DGS von Julia Kulda Hroch und Laura-Levita Valyte

Künstlerische Produktion: Franziska Winkler

Film und Schnitt: Urs Mader

  • »Die Mergelgrube« von Annette von Droste-Hülshoff

     

     

    Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
    Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,
    Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant
    Natur die Trödelbude aufgeschlagen.
    Kein Pardelfell war je so bunt gefleckt,
    Kein Rebhuhn, keine Wachtel so gescheckt,
    Als das Gerölle, gleißend wie vom Schliff
    Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
    Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
    Wie zürnend sturt dich an der schwarze Gneus,
    Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
    Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
    Gesprenkelte Porphire, groß und klein,
    Die Ockerdruse und der Feuerstein –
    Nur wenige hat dieser Grund gezeugt,
    Der sah den Strand, und d e r des Berges Kuppe;
    Die zorn'ge Welle hat sie hergescheucht,
    Leviathan mit seiner Riesenschuppe,
    Als schäumend übern Sinai er fuhr,
    Des Himmels Schleusen dreißig Tage offen,
    Gebirge schmolzen ein wie Zuckerkand,
    Als dann am Ararat die Arche stand,
    Und, eine fremde, üppige Natur,
    Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. –
    Findlinge nennt man sie, weil von der Brust,
    Der mütterlichen sie gerissen sind,

     

    In fremde Wiege schlummernd unbewußt,
    Die fremde Hand sie legt wie's Findelkind.
    O welch' ein Waisenhaus ist diese Haide,
    Die Mohren, Blaßgesicht, und rothe Haut
    Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!
    Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!

     

    Tief in's Gebröckel, in die Mergelgrube
    War ich gestiegen, denn der Wind zog scharf;
    Dort saß ich seitwärts in der Höhlenstube,
    Und horchte träumend auf der Luft Geharf.
    Es waren Klänge, wie wenn Geisterhall
    Melodisch schwinde im zerstörten All;
    Und dann ein Zischen, wie von Moores Klaffen,
    Wenn brodelnd es in sich zusamm'gesunken;
    Mir über'm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,
    Als scharre in der Asche man den Funken.
    Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor,
    Und lauschte, lauschte mit berauschtem Ohr.

     

    Vor mir, um mich der graue Mergel nur,
    Was drüber, sah ich nicht; doch die Natur
    Schien mir verödet, und ein Bild erstand
    Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;
    Ich selber schien ein Funken mir, der doch
    Erzittert in der toten Asche noch,
    Ein Findling im zerfall'nen Weltenbau.
    Die Wolke theilte sich, der Wind ward lau;
    Mein Haupt nicht wagt' ich aus dem Hohl zu strecken,
    Um nicht zu schauen der Verödung Schrecken,
    Wie Neues quoll und Altes sich zersetzte –
    War ich der erste Mensch oder der letzte?

     

    Ha, auf der Schieferplatte hier Medusen –
    Noch schienen ihre Stralen sie zu zücken,
    Als sie geschleudert von des Meeres Busen,
    Und das Gebirge sank, sie zu zerdrücken.
    Es ist gewiß, die alte Welt ist hin,
    Ich Petrefakt, ein Mammuthsknochen drinn!
    Und müde, müde sank ich an den Rand
    Der staub'gen Gruft; da rieselte der Grand
    Auf Haar und Kleider mir, ich ward so grau
    Wie eine Leich' im Katakomben-Bau,
    Und mir zu Füßen hört ich leises Knirren,
    Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.
    Es war der Todtenkäfer, der im Sarg
    So eben eine frische Leiche barg;
    Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor gestellt
    Zeigt eine Wespe mir von dieser Welt.
    Und anders ward mein Träumen nun gewandet,
    Zu einer Mumie ward ich versandet,
    Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angesicht,
    Und auch der Scarabäus fehlte nicht.

     

    Wie, Leichen über mir? – so eben gar
    Rollt mir ein Byssusknäuel in den Schooß;
    Nein, das ist Wolle, ehrlich Lämmerhaar –
    Und plötzlich ließen mich die Träume los.
    Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,
    Am Himmel stand der rothe Sonnenball
    Getrübt von Dunst, ein glüher Karniol,
    Und Schafe weideten am Haidewall.
    Dicht über mir sah ich den Hirten sitzen,
    Er schlingt den Faden und die Nadeln blitzen,
    Wie er bedächtig seinen Socken strickt.
    Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.
    "Ave Maria" hebt er an zu pfeifen,
    So sacht und schläfrig, wie die Lüfte streifen.
    Er schaut so seelengleich die Heerde an,
    Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.
    Ein Räuspern dann, und langsam aus der Kehle
    Schiebt den Gesang er in das Garngestrehle:

     

    Es stehet ein Fischlein in einem tiefen See,
    Danach thu ich wohl schauen, ob es kommt in die Höh;
    Wandl' ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,
    Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen sein.

     

    Gleich wie der Mond ins Wasser schaut hinein,
    Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,
    Also sich verborgen bei mir die Liebe findt,
    Alle meine Gedanken, sie sind bei dir, mein Kind.

     

    Wer da hat gesagt, ich wollte wandern fort,
    Der hat sein Feinsliebchen an einem andern Ort;
    Trau nicht den falschen Zungen, was sie dir blasen ein,
    Alle meine Gedanken, sie sind bei dir allein.

     

    Ich war hinaufgeklommen, stand am Bord,
    Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;

     

    Er steckt' ihn an den Hut, und strickte fort,
    Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.
    Im Moose lag ein Buch; ich hob es auf –
    "Bertuchs Naturgeschichte"; lest ihr das? –
    Da zog ein Lächeln seine Lippen auf:
    Der lügt mal, Herr! doch das ist just der Spaß!
    Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,
    Als, wie Genesis sagt, die Schleusen offen;
    Wär's nicht zur Kurzweil, wär es schlecht gehandelt:
    Man weiß ja doch, daß alles Vieh versoffen.
    Ich reichte ihm die Schieferplatte: "Schau,
    Das war ein Thier." Da zwinkert er die Brau,
    Und hat mir lange pfiffig nachgelacht –
    Daß ich verrückt sey, hätt' er nicht gedacht! –

     

     

     

     

     

    Scheit] Grabscheit: Spaten.

     

    Gant] Versteigerung.

     

    Pardelfell] Leopardenfell.

     

    sturt] (niederdt.) sturen: stieren, starren.

     

    Gneus] Gneis, metamorphes Gestein aus Feldspat, Quarz und Glimmer.

     

    Spatkugel] Spat: Mineral aus der Ordnung der Karbonate.

    Okerdruse] Druse: Hohlraum im Gestein, i.d.R. mit Kristallen ausgekleidet. Im Mergel finden sich Kalkknollen, die einen gelblichen Brauneisenstein (ocker) enthalten.

     

    Zuckerkand] Zuckerkandis.

     

    aus dem Hohl] aus der Höhle.

     

    Arche] Vgl. Gen 7-8.

     

    Medusen] Schirmquallen.

     

    Petrefakt] Versteinerung.

     

    Rispeln] leise fließendes Geräusch.

     

    Grand] Kies.

     

    gewandet] hier: eingekleidet.

     

    Scarabäus] im alten Ägypten heiliger Käfer, dessen in Stein geschnittene Nachbildung als Siegel oder Amulett häufig bei Mumien gefunden wurde.

     

    Bissusknäuel] Byssus: Gewebe aus feinen Leinenfäden, das aus Grab- und Reliquienfunden bekannt ist. Mit den feinsten Byssusbinden wurden in Ägypten zur Zeit der Pharaonen die Häupter vornehmer Verstorbener umwickelt. Siehe hier.

     

    Karniol] Karneol: roter Quarz.

     

    Garngestrehle] gesträhltes (gekämmtes) Garn.

     

    Gesang] Das eingeschobene Lied wurde vermutlich von Droste selbst verfasst.

     

    Bord] Ufer, Rand.

     

    Weihel] Nonnenschleier.

     

    Bertuchs Naturgeschichte] Das zehnbändige „Bilderbuch für Kinder“ (1790-1825) von Friedrich Justin Bertuch.

     

    wie Genesis sagt] Vgl. Gen 7,10-12.