haunted - Nimm dieses Messer, und öffne dein Fleisch
Text Nimm dieses Messer, und öffne dein Fleisch, gelesen von Senthuran Varatharajah.
Aus der Dunkelheit spricht der Apeth: Dieb. Dein Leben: gehört dir nicht. Du hast es gestohlen. Nimm dieses Messer, und öffne dein Fleisch. Die Schuld: ist eine Klinge. Das Meer: bleibt die Trauer derselben Nacht. Kein Stern bezeugt hier die Toten. Der Mond sieht, was nur der Mond sehen kann – die Knie, die zählbaren, die das Gewicht der Hände noch tragen können; die Rücken, die nass geworden waren spricht der Mond aus, außerhalb des Bildes, am kalten Rand der Erschöpfung: wurde ihm ein Boot wieder anvertraut. Die Gischt, die der Motor im Wasser hinterlässt, gehört der Sekunde. Kein Blut: färbt hier den Himmel tief. Hier, im Bezirk dieser Nacht, ist Gott nur ein Name. Der Tag nimmt nicht teil, an dem, was in ihm geschieht; er ist in different gegenüber den Ereignissen; die Stunden: schauen zu. Vor dem Mittelmeer gab es einmal eine andere Sonne, die sich nichts vergeben kann. Sie reflektierte den Sand, der hell genug war, als Bol und Rial auf die Ladefläche eines Jeeps stiegen, während ein Hund nach seinem Willen bellte. Rial legt ihre Hände um ihre Tochter, die nicht ihre Tochter ist; Nyagak hält eine Puppe fest; ein Mann befestigt das niedrige Gitter am Jeep. Niemand kannte die dunkelste Stelle des Mittelmeeres, niemand wusste hier von der Geduld der 5267 Metern, auch die anderen nicht, die mit ihnen auf der Ladefläche warten. Rial beugt sich zu Nyagaks linkem Ohr. Sie sagt: ich beschütze dich. Ein Jahr ist wie ein Kontinent: wie der zuverlässige Sturz in die letzte Falte einer Erinnerung, nur einen Herzschlag entfernt. Die Dinge, die hinter ihnen liegen, liegen so weit zurück – bis Bol und Rial, nach ihrer Flucht aus dem Südsudan, in England wieder vor ihnen stehen: in dem Haus, das zerfällt, und das ihnen zugewiesen wurde, als zweite Probe auf Asyl. Bol: spricht hier zu den Wänden. Rial: spricht mit einem Apeth. Der britische Regisseur Remi Weekes erzählt in seinem 2020 erschienenen Debütfilm His House davon: von Bol Majur, gespielt von Sope Dirisu, und von Rial Majur, von Wunmi Mosaku dargestellt, einem Paar, das den Bürgerkrieg im Südsudan überlebte, der von 2013 bis 2020, sechs Jahre, zwei Monate, eine Woche und einen Tag gedauert hat, und in dem mehr als zwei Millionen Menschen getötet, und über vier Millionen Menschen vertrieben worden waren; von Nyagak, von Malaika Abigabe gespielt, die im Mittelmeer ertrank; von einem Apeth, der ihnen bis hierher gefolgt war; von der Wunde, in der die Toten leben. Es könnte noch Winter sein, oder die letzten Tage eines anderen Herbstes. Der Sand: liegt woanders. Die Gischt: hat das Wasser wieder genommen. Bol wacht in einem englischen Auffanglager auf. Rial: sitzt neben ihm auf dem Bett. Mit dieser Szene beginnt His House wieder; ein zweites Mal; als traumatisierte Physik, und als trauernde Metaphysik des Exils. Jeder Schatten: ist dem Menschen immer voraus. Du hast geträumt. Von was hast du geträumt?
Aus der Dunkelheit spricht der Apeth: Dieb. Begleiche deine Schuld. Du bist das Biest. Und ich: bin der Schlachter. Die Klage: ist ein Gedicht. Die Angst: bleibt eine Form der ersten, und der allerletzten Erkenntnis. Kein Stein beweint hier die Verschollenen. Das Licht sieht, was nur das Licht sehen kann – die Vorhänge, die vergilbten, die die wiederholbare Farbe des Tages zurückhalten, bis kein Schrei, und auch kein Lied in den Schläfen des Betons, und in der verteilten Armut dieser Gegend gehört werden kann; ein Sofa, ein weißer Plastikstuhl; der Kühlschrank und die schwarzen Müllbeutel vor ihrem Haus bespricht das Licht, aus der Achse eines Bildes, im langsamen Trost der Resignation: sind zwei Menschen ihm gegeben worden. Mit dramaturgischer Vorsicht, und einem rücksichtslosen Vertrauen in die irreduzible Singularität eines Schmerzes, der nur einem Menschen verständlich sein wird, der, durch die biographische Zufälligkeit des eigenen Lebens, in die zerbrochene Nacht einer ähnlichen Existenz gestellt, und von einer verwandten Erfahrung eingeweiht worden war, erzählt His House von Flucht – als einer Besessenheit. Der Film ist keine Allegorie: er meint alles so, wie er es zeigt; so wie es gezeigt wird; so wie das diskrete Gesetz der Angst es verlangt. Der Film kehrt die Herkunft des Schmerzes um: nicht der Apeth, und auch nicht die Geister, die er durch die Hitze des Sandes und durch die Strömungen wie eine Legion, oder eine Erinnerung, mitbrachte, gehören zu den Majurs, das Gegenteil ist der Fall: der Apeth besitzt sie; Bol und Rial sind von ihm besessen; sie gehören zu ihm, wie zu seiner Heerschar von Toten, denen auch Nyagak jetzt angehört. Sie spricht zu Bol aus den Wänden, in die sie eingezogen war. Der Apeth: ist nicht der Ausdruck eines seelischen Leidens, sondern dieses Leiden einer Seele selbst; die verselbstständigte Verdichtung einer unangeschauten, einer uneingestandenen Wunde, die nur ein Mensch ertragen kann. Die cineastische Poetik der Empfindsamkeit, so, wie die beispiellose Nächstenliebe des Filmes, den Majurs in jedem Winkel, bis in das abnehmende Licht zugewandt, liegt darin: His House nimmt ihnen alles; der Film nimmt sie ernst; er mutet ihnen alles zu; er traut ihnen alles zu; er glaubt an sie. Die Tapeten schälen sich. Aus dem Loch dahinter zieht Bol ein Seil: nass, und mit schwarzen Algen behangen, wie die Nabelschnur einer ertrunkenen Erinnerung, an deren Ende Nyagaks Puppe hängt. Auch vor dem Entkommensein: gibt es kein Entkommen. Über die Markierungen auf ihrer Haut sagt Rial zu ihrer Ärztin: dieses Zeichen habe ich, seitdem ich ein kleines Mädchen war. Das andere fügte ich mir mit einem Messer zu, als meine Familie abgeschlachtet wurde. Dort, wo ich herkomme, gibt es zwei Völker. Sie töten sich gegenseitig. Man markiert sich, je nachdem, zu wem man gehört. Ich wählte beide Markierungen. Ich überlebte: indem ich nirgendwo hingehöre.
Aus der Dunkelheit spricht der Apeth:Dieb. Du gehörst jetzt mir. Dein Leben: für Nyagak. Deinen Körper für ihren. Die Träne: ist eine Richtung. Der Abschied: bleibt die Leere außerhalb der Hand. Kein Staub besingt hier die Zurückgelassenen. Die Sonne sieht, was nur die Sonne sehen kann – Rials ermordete Freundinnen, in ihrem getrockneten Blut, auf dem weißen Steinboden eines Seminarraumes, während God bless auf dem linken Seitenflügel der Tafel steht; die Kommode aus dunklem Holz, in der sie sich versteckt, und auf der beschriebene Hefte liegen sagt die Sonne, im Fluchtpunkt des Bildes, jenseits der gefallenen Länge der Schatten: trocknen Leichen wieder in ihr. Es könnte Mittag gewesen sein, kaum später. Das Geräusch von Maschinengewehren: ordnet die Minuten. Nur Angst: färbt hier den Himmel weit. Hier, im Bereich dieses Abends, liegen Rial und Bol auf einem Dach, als drei Männer einen Einkaufswagen durch die Straße schieben; zwei Männer tragen einen ausgeblichenen Sessel, ein anderer Mann brennt, mit seinem Koffer in der linken Hand, wie der einzige Sohn der Sonne. Rial und Bol umarmen sich. Mit dem begrenzten Register des Horrorfilms zeigt His House einen anderen Horror: die weiße, bürgerliche Erzählung des Haunted House Genres, die Angst, davor, nicht Herr im eigenen Haus zu sein, nutzt er, um sie durch die Geschichte dieser Flucht zu ersetzen: aber nicht das Haus, in das die Majurs gezogen waren, ist von Geistern bewohnt: sie sind es – nur darum gehört ihr Haus dem Apeth, einem Nachthexer aus der Mythologie der Dinka, einem Hexer jeder Nacht, der die monströse Gestalt eines Unglückes ist; so, wie der Apostel der Schuld. Er spricht zu Rial; er verspricht ihr, Nyagak aus der Einsamkeit des Meeres zurückzubringen. Das letzte Erbarmen: liegt in seiner Hand. Zu was ein Mensch im Angesicht des Todes bereit ist: kann nicht einmal ein Mensch sagen, der im Angesicht des Todes steht. Nur Menschen mit Kindern durften in den Bus. Bol nimmt das kleine Mädchen, das rechts neben allein ihm steht. Er glaubt, sie hätte keine Eltern. Er gibt sie als ihre Tochter aus. Er trägt sie in den Bus. Nyagaks Mutter schreit: sie rennt; sie rennt dem Bus hinterher; sie ruft ihren Namen; bis zuletzt. Der Tag nimmt, was in ihm geschieht: er schaut zu. Rial und Bol: sitzen auf dem Boden. Die Kerze ist das schwächste Licht; es bewegt die Schatten. Meine Mutter erzählte mir eine Geschichte. In unserem Dorf gab es einen ehrbaren, armen Mann, der ein eigenes Haus besitzen wollte; er wollte es so sehr, dass er andere bestahl. Er bestahl einen alten Mann, der am Fluss lebte; er wusste nicht, dass dieser Mann ein Apeth war; der Dieb wusste nicht, dass der Apeth in dem Haus leben würde, dass er sich baute. Es dauerte nicht lang, bis der Apeth aus seinen Wänden sprach. Sie flüsterten. Aus den Schatten kamen die Tote n. Er hörte nicht auf, bis der Mann ihm gehörte. Ein Apeth: ist aus dem Meer gestiegen. Er ist uns gefolgt.
Aus der Dunkelheit spricht der Apeth: Dieb. Wo du auch hingehst, ich werde folgen. Du: bist jetzt mein. Nimm dieses Messer, und öffne dein Fleisch. Die Gnade: ist eine Schwerkraft. Der Schmerz: bleibt der Schmerz. Kein Stahl betet hier für die Lebenden. Der Schatten sieht, was nur der Schatten sehen kann – die Löcher, die schwarzen, in der Form der Nacht, nachdem Bol sie mit dem Hammer in die Wände schlug; die Tapete, die, wie kaltgewordene Haut, auf dem Boden liegt beschweigt der Schatten, im gebrochenen Herzen des Bildes, in der Ruhe einer Kapitulation: bietet Bol ihm sein Blut an. Die Taschenlampe auf dem Rettungsboot: ist ein kleiner Mond gewesen, einen Herzschlag zu spät. Die Dinge, die hinter Bol liegen, liegen so weit zurück – bis er wieder vor ihnen steht; Bol: steht im Mittelmeer; der Apeth führte ihn in einem Trau m zum uferlosen Schrei zurück; er bindet Bols Hände auf seinen Rücken; er hält sein Gesicht; er richtet es auf Nyagak, die aus dem Wasser steigt. Der Apeth zwingt ihn sie anzusehen: das dunkle Tier, das aus ihrem Mund kommt, wie die schmaleren Finger der Verzweiflung in der Grammatik. Die Hände des Apeth sind Bols aufgeschnittenen Hände. Eine Erinnerung fällt uns nicht ein; wir fallen in sie; wie in ein Jahr, weit wie ein Kontinent, bis in seine allerletzte Falte. His House zeigt das Entsetzen der Flucht: als eine zu gestandene Besessenheit. Die Geister, die in uns leben: widerrufen uns; sie arrangieren unsere Muskeln, und unseren Sinn, nach ihrem Hunger wie ein Gesetz; sie sind älter als wir, länger, und vertieft; in ihrem Schatten: müssen wir stehen. Aus ihrem Schatten: kommen Tote. Unser Schatten: wird uns überdauern. Er überlebt uns. Wir gehören zu ihm; nicht umgekehrt. Für die Toten, die uns vorausgegangen, wie für die Lebenden, die mit uns gehen sind: sind wir das Exil. Bol gibt sein Einverständnis; er ist zu dem Tausch bereit: sein Leben, für das Leben, das er stahl. His House zeigt zwei Menschen so, wie sie sind; so, wie sie sein müssen; so, wie das Geheimnis, das kompliziertere Rätsel unserer unverständlichen Existenz es verlangt: wie ein Ende der Welt. In der Kühe, am hellen Holztisch öffnet Bol für den Apeth sein Fleisch. Sein Blut, auf dem Laminat, kennt keine Vergebung. Aber der Film; geht weiter. Er deutet an seinem erschöpften Ende an, was nur angesichts der Bezirke des Schmerzes, die die Majurs durch 93 Minuten Trauer kennen, die sie anschauen, und sich eingestehen, die sie anerkennen mussten, oder sterben, das Unwahrscheinlichste an: dass es nach dem Ankommen noch eine Ankunft gibt. Rial tötet den Apeth mit dem Messer. Rial und Bol: kämpfen nicht mehr gegen die Toten, gegen die Verschollenen, gegen die Zurückgelassenen; sie kämpfen nicht mehr gegen ihr Leben. Sie erlauben es jedem Geist, hier zu wohnen. Hier, in diesem Haus: ist jeder Mensch willkommen. Aus dem Tag in der letzten Szene spricht Bol:
Deine Geister folgen dir. Sie verschwinden nie. Sie leben bei dir. Als ich sie in mich hineinließ, begann ich, mich mit mir selbst zu konfrontieren. Rial sagt: Das ist unser Zuhause.