VERBARIUM
Verbarium Soundwalk zum Droste Festival 2023
AUFRUF//CALL
Ein Herbarium ist eine Sammlung an Pflanzen zum Zweck ihrer Bestimmung und Archivierung. Ein Verbarium kann ein Wörterbuch für verschiedene Sprachen sein, oder ein Sprachspiel. Indem Buchstaben eines bestehenden Wortes umgestellt werden, entstehen neue Worte. Sprachspiele beschreiben nicht einfach eine vorliegende Realität, sondern etablieren unsere Welt. Verändern wir also unsere Sprechweisen, verändern wir auch Denkweisen und damit die Welt in der wir leben. Robin Wall Kimmerer, Biologin und indigene Pflanzenkennerin, erzählt von der Sprache der Potawatomi, einem Volk Indigener Amerikaner*innen, in der Pflanzen Personen sind und »eine Bucht sein« eine Verbform hat. Hiervon wollen wir lernen und sammeln:
Wir suchen Sprechweisen aus unterschiedlichen Sprachen, die die mehr als menschliche Welt ansprechen. Welche Wege gibt es, z.B. Pflanzen, Steine, Gebirgszüge, Tiere, Meere und ganze Landschaften als aktive Partner*innen Teil der Sprache sein zu lassen? Wie kann Natur, deren Teil auch Menschen sind, als Person, als Verb usw. angesprochen werden und damit andere Kosmologien und Welten denkbar machen?
VERBARIUM als Sprachspiel
Wir verdanken der Trennung von Natur und Kultur in der westlichen Welt seit der Antike objektivierende Redeweisen, die Natur außerhalb von Menschen lokalisiert und andere als menschliche Körper in der Welt als diesen untergeordnet betrachten. Indigene Kulturen folgen diesen Redeweisen nicht und spielen andere Sprachspiele mit unterschiedlichen Vorstellungen von Aktivität und Intelligenz, die ungleich verteilt im ganzen Universum vorhanden sind. Angesichts der Klimakatastrophe besteht eine dringliche Notwendigkeit des Verständnisses von Menschen als Teil von Erde. Wie können wir von Gemeinschaften lernen, die solches Wissen bewahrt haben? Welche Sprachspiele können uns helfen, zu beginnen, in einer Realität zu leben, die nicht anthropozentrisch ist? Darüber hinaus: Was können wir von Ausdrucksweisen und Kommunikationswegen von Pflanzen, Pilzen, Tieren und dem Planeten lernen? Wie können wir aus bestehenden Sprachen von Menschen lernen, auf Augenhöhe mit anderen als menschlichen Körpern zu kommunizieren?
Das VERBARIUM sucht Deine Redewendungen, Deine Sprache mit Pflanzen und anderen als menschlichen Körpern!
NAMEN
Gänseblümchen, Tausendschön, Äuglein des Tags, Sommers liebster Kranz, Noch und noch an Rainen
Sonnen, winzigklein, Eine Himmelsguckerschar;
Bänder möcht ich aus dir flechten, Leichte Reifen, Ringe, Ketten;
Über dich als Schmuck der Wiese singen, Mitgift des Rasenstücks;
Charmant gähnst du der Dämmerung entgegen, legst dich wieder ein zur Gutenacht;
Einen Strauß von Namen hat man dir gegeben, doch wie nennst du dich, wenn keiner fragt?- Robert Macfarlane, Jackie Morris. Die verlorenen Zaubersprüche. Berlin 2021.
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die Palmen sich wie folgt gruppieren:
Palmen sich wie folgt gruppieren: a) Palmen, die dem König gehören, b) konservierte Palmen, c) gezähmte, d) kultivierte, e) die Profit bringen, f) Paradiespalmen, g) herrenlose, h) in diese Gruppe gehörige, i) die aus dem Rahmen fallen, k) die mit einem feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die weit herumgekommen sind, n) die von weitem wie ein Baum aussehen
- Frauke Zabel, DIE PALMEN SICH WIE FOLGT GRUPPIEREN:. München 2023
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Wachholder,
ein auch „Queckholder" genannter Baum oder Strauch, der botanisch „Juniperus communis" geheissen, der Gattung der Coniferen eingetheilt ist. Er hat ausgereizte Aeste und pfriemliche, starre, sehr spitze Nadeln in meergrüner Farbe, die immer zu je dreien stehen. Die zweihäusigen Blüthen kommen in sehr kleinen Kätzchen aus den Blattwinkeln hervor. Aus den Fruchtkätzchen entsteht durch das Verwachsen der fleischigen eine kleine grüne Beere, die später schwärzlich und in reifem Zustand blau angehaucht ist. Der Wachholder enthält ein ätherisches ungenehmem Geruche, sowie ein Harz. Die Beeren sind auch ausserdem zuckerhältig, mit einem Beisatze von essigsauren, schwefelsaueren und salzsaueren Salzen.
Man verwendet das Holz in geraspeltem Zustande zur Herstellung eines Absudes, der gegen Schleimflüsse, veraltete Affectionen der Schleimhäute usw. verordnet wird.
Die Beeren sollen dem Volksglauben nach ein harntreibendes Mittel sein. Officinell werden sie als Aufguss bei chronischen, rheumatischen und gichtischen Leiden verwendet.- Robert Macfarlane, Jackie Morris. Die verlorenen Zaubersprüche. Berlin 2021.
PERSONEN
Die Wollaffen, die Tukane, die Brüllaffen, alle Tiere, die wir töten, um zu essen, sind Personen wie wir. Auch der Jaguar ist eine Person, aber er ist ein einsamer Töter; er respektiert nichts. Wir, die »vollständigen Personen müssen diejenigen respektieren, die wir im Wald töten, denn sie sind für uns wie Heiratsverwandte. Sie leben unter sich mit ihrer eigenen Verwandtschaft; sie tun die Dinge nicht auf gut Glück; sie sprechen miteinander; sie lauschen dem, was wir sagen; sie heiraten einander, wie es sich gehört. Bei der Blutrache töten auch wir Heiratsverwandte, aber es sind immer Verwandte. Und auch sie können uns töten wollen. So wie die Wollaffen töten wir sie, um zu essen, aber es sind immer Verwandte.
- Philippe Descolas, Jenseits von Natur und Kultur, Frankfurt am Main 2018.
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Die Grammatik des Belebten
Stell dir vor, du siehst deine Großmutter in der Küchenschürze am Herd stehen und sagst über sie: »Schau, es kocht Suppe. Es hat graue Haare.« Vielleicht kichern wir bei so einem Fehler, aber gleichzeitig erschrecken wir.
Auf Englisch bezeichnen wir eine Verwandte oder egal welchen Menschen nicht als es. Das wäre äußerst respektlos. Es nimmt einem Menschen sein Selbst, das Menschsein, es reduziert die Person auf einen bloßen Gegenstand. Und daher kommt es, dass wir auf Potawatomi und in den meisten anderen indigenen Sprachen für die lebendige Welt dieselben Wörter gebrauchen wie für unsere Familie. Denn sie sind ja unsere Familie.
- Robin Wall Kimmerer, Geflochtenes Süßgras, München 2013, S. 73.
MAGIE
Die Birke ist ein von den nördlichen Indogermanen (besonders auch von den Slaven) seit alters hochverehrter Baum. In Skandinavien wurden Birken geopfert. Die von der Axt verletzte Birke jammert wie ein menschliches Wesen.
Als Baum des Frühlings liefert sie die Lebensrute. Diese verleiht dem Vieh Gesundheit, vertreibt Ungeziefer und schützt vor Hexen. Ab und zu tritt der Birkenbesen an die Stelle der Birkenzweige.
Vielfach steckt man am Walpurgisabend Birkenzweige an die Stalltüren oder auf die Düngerstätten, um den Hexen den Eintritt zu verwehren. Im Volk wird diese hexenabwehrende Wirkung der Birke öfter damit begründet, daß die Hexen die Blättchen der aufgestellten Birkenzweige zählen müßten und es dabei Tag werde. Wenn eine Kuh gekalbt hat, nagelt man drei Birkenzweige an die Stalltür (Mittelfranken) oder man schlägt einen Nagel aus Birkenholz auf die Stelle, auf die das Kalb gefallen ist, so tief in die Erde, daß er nicht gesehen wird; das schützt gegen die Hexen. Bei den Südslaven wird unter dem Lager der Kuh, deren Milch versiegt ist, ein Birkenkeil in den Boden geschlagen.
Ebendort wird die auf frischer Tat ertappte Hexe mit einem Birkenbesen geschlagen, dann kann sie nicht mehr zaubern. Wenn die Milch der verhexten Kuh mit Birkenruten geschlagen wird, dann kommt am nächsten Tag die Hexe.
Wenn eine junge Fahrkuh aus dem Stalle geleitet wird, so muß sie über eine vor die Stalltür gelegte Birkenrute schreiten.- Hanns Bächtold-Stäubli, Lexikon des deutschen Aberglaubens. Berlin, New York 1967,Bd. I. S. 267.
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Im heidnischen Alterthume zum Verbrennen der Leichen benützt, wurde das Holz und Gestrauch Wachholder späterhin ein allgemein beliebtes Zaubermittel. Die Magie bedient sich des Rauches vom Wacholder zum Vertreiben des Ungeziefers, der Schlangen und der bösen Geister. Ein Decoct aus den Beeren des Wachholder verleiht angeblich prophetischen Blick und soll auch gegen böse Einflüsse schützen. Der Blütenstand der männlichen Kätzchen ist im Liebeszauber und bei nekromantischen Exorcismen genannt.
- G.W. Gessmann, Die Pflanze im Zauberglauben. S. 93.
HEILUNG
Beinwell – Wirkt wirklich bis auf die Knochen
In den Moorgebieten Nord-(West-)Deutschlands wächst die zarte, aber verführerisch hübsche Moorlilie, die man bezeichnenderweise auch Beinbrech (Narthecium ossifragum) nennt (von lateinisch os = Knochen, frangere = brechen).
Der Grund ist nachvollziehbar klar: Kommt man dieser Pflanze zu nahe, begeht man im unübersichtlichen Terrain leicht einen Fehltritt, gerät in Schlammlöcher, knickt mit den Füßen weg und bricht sich womöglich das Gehwerk.
Doch die Natur hat auch in diesem Fall vorgesorgt: Mit dem Beinwell (Symphytum officinale) steht ein wirksamer Knochenflicker zur Verfügung. Schon zur Karolingerzeit und weiter im frühen Mittelalter nannte man ihn beinwalla = Wohltäter der Gebeine, und bis heute bereitet man aus seinen Wurzelstöcken eine Paste zu, die Knochenhautverletzungen oder Frakturen heilen hilft. Diese erwiesene arzneiliche Wirkung unterstreicht auch der wissenschaftliche Gattungsname: Symphytum leitet sich ab von griechisch symphyein = zusammenfügen. Das gleiche Wort steckt übrigens im medizinischen Fachausdruck Symphyse für Knochenfuge. In Großbritannien nennt man die Pflanze comfrey, und dieser Name meint genau dasselbe, denn er kommt vom Lateinischen conferre = zusammenbauen.
Beinwell ist in der heimischen Flora recht häufig und kommt in verschiedenen Blütenfarben vor. Neben reinweißen gibt es auch cremefarben, purpurn oder tiefviolett blühende Exemplare. Die fünf Kronblätter sind zu einer Röhre verwachsen, die vorne von Schlundschuppen verschlossen ist. Nur langrüsselige Hummelarten können die Nektarvorräte am Blütengrund ausbeuten. Die zu kurz Gekommenen, deren Saugrüssellänge partout nicht ausreicht, geben dennoch nicht auf. Sie beißen die Blüten unten seitlich an und klauen einfach den Nektar unter Umgehung der vorgesehenen Bestäubungsroute.- Bruno P. Kremer, Klaus Richarz, Was alles hinter Namen steckt. Heidelberg 2016, S. 12f.
SPRACHE
Die Grammatik des Belebten
Wenn wir der Natur lauschen, hören wir Gespräche in einer Sprache, die nicht unsere ist. Heute denke ich, dass ich zur Wissenschaft gekommen bin, weil ich diese Sprache, die ich in den Wäldern höre, verstehen wollte, weil ich mit den Jahren lernen wollte, fließend Botanisch zu sprechen. Was übrigens nicht zu verwechseln ist mit der Sprache der Pflanzen. Tatsächlich gelernt habe ich in der Wissenschaft eine andere Sprache, eine Sprache der sorgfältigen Beobachtung, ein präzises Vokabular, das jedes kleine Detail benennt. Und um zu benennen und zu beschreiben, muss man zuerst sehen, und die Wissenschaft fördert die Gabe des Sehens. Ich honoriere die Präzision dieser Sprache, in der ich mich inzwischen zu Hause fühle.
Doch hinter der Vielfalt ihres Vokabulars und ihrer Fähigkeit zur Beschreibung fehlt etwas - dasselbe Etwas, das um einen und in einem anschwillt, wenn man der Welt lauscht. Die wissenschaftliche Sprache schafft Distanz, sie reduziert ein Wesen auf seine funktionalen Elemente; sie ist eine Sprache der Gegenstände. Zwar ist sie präzise, aber sie beruht auf einem grundlegenden Grammatikfehler, einem Versäumnis, einem gravierenden Verlust, der bei der Übersetzung aus den indigenen Sprachen dieser Küsten erfolgt ist. Mein erster Vorgeschmack auf das, was der wissenschaftlichen Sprache fehlt, war das Wort Puhpowee. Ich stolperte in einem Buch der Ethnobotanikerin Keewaydinoquay vom Volk der Anishinaabe darüber; es ging um die traditionelle Nutzung von Pilzen durch unser Volk. Puhpowee, erklärte sie, bedeutet »die Kraft, die bewirkt, das Pike über Nacht aus dem Boden schießen.«- Robin Wall Kimmerer, Geflochtenes Süßgras, München 2013, S. 63.
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Eine Bucht ist nur dann ein Nomen, wenn Wasser tot ist. Wenn Bucht ein Nomen ist, dann ist sie von Menschen definiert, eingesperrt zwischen den Ufern und umgrenzt von dem Wort. Das Verb wikwegamaa dagegen - eine Bucht sein - befreit das Wasser aus den Fesseln und lässt es leben. »Eine Bucht sein« umgreift das Wunder, dass in diesem Augenblick das lebende Wasser beschlossen hat, zwischen diesen Ufern Schutz zu suchen, sich mit Riesen-Lebensbaumwurzeln zu unterhalten und einem Schwarm Gänsesägerküken. Denn es könnte sich auch ganz anders verhalten - ein Fluss werden oder ein Meer oder ein Wasserfall, und auch dafür gibt es Verben. Ein Hügel sein, ein Sandstrand sein, ein Samstag sein, das alles sind mögliche Verben in einer Welt, in der alles lebendig ist. Wasser, Land und sogar ein Tag: die Sprache als Spiegel, in dem man die Belebtheit der Welt sehen kann, das Leben, das durch alle Dinge pulsiert, durch Kiefern und Kleiber und Pilze. Das ist die Sprache, die ich in den Wäldern höre; die Sprache, die uns davon sprechen lässt, was überall um uns aus der Tiefe heraufbricht. Und die Überreste der Internate, die seifenschwingenden Missionarsgeister, lassen geschlagen die Köpfe hängen.
Das ist die Grammatik der Belebtheit. Stell dir vor, du siehst deine Großmutter in der Küchenschürze am Herd stehen und sagst über sie: »Schau, es kocht Suppe. Es hat graue Haare.« Vielleicht kichern wir bei so einem Fehler, aber gleichzeitig erschrecken wir.
Auf Englisch bezeichnen wir eine Verwandte oder egal welchen Menschen nicht als es. Das wäre äußerst respektlos. Es nimmt einem Menschen sein Selbst, das Menschsein, es reduziert die Person auf einen bloßen Gegenstand. Und daher kommt es, dass wir auf Potawatomi und in den meisten anderen indigenen Sprachen für die lebendige Welt dieselben Wörter gebrauchen wie für unsere Familie. Denn sie sind ja unsere Familie.- Robin Wall Kimmerer, Geflochtenes Süßgras, München 2013, S. 71.
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[S]igns are not exclusively human affairs. All living beings sign. We humans are therefore at home with the multitude of semiotic life. Our exceptional status is not the walled compound we thought we once inhabited.
- Eduardo Kohn, How Forests Think. London 2013, S. 42.
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Oryngham means thank you for listening in the language of the plants.
It is not a word, as we humans understand it, because its meaning cannot be spoken-nor can it be heard. However, we can experience it by feeling with our bodies and listening to what our ears cannot hear.
When we learn to listen to plants without the need to hear them speak, a language that we have forgotten emerges; it is a language beyond words, one that does not wander or pretend or mislead. It is a language that conveys its rich and meaningful expression by bypassing the household of our mind and directly connecting one spirit to another. This language belongs to plants, and so do these stories.- Monica Gagliano, Thus Spoke the Plant, Berkeley 2018, S. 9.
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By treating language as a real and percievable feature of the whole organism-envirnonment system, where linguistic information is used and comes to have meaning in the same basic way as in perceptual-action situations, we are able to consider language as a meaning-making activity at the core of every form of life, whether human or not.
- Monica Gagliano, Breaking the Silence. Green Mudras and the Faculty of Language in Plants. In: Dies. et al (Ed.), The Language of Plants. Science, Philosophy, Literature. Minnesota 2017, S. 87.
GESELLSCHAFTEN
Gesellschaft beschränkt sich nicht auf die zweihundertsechzig Individuen, aus denen sie besteht, sie reicht weit über die ontologischen Grenzen der Menschheit hinaus und umfasst über eine Myriade von Geistern, Pflanzen, Tieren und Gegenständen, von denen angenommen wird, daß sie dieselben Attribute besitzen wie die Chewong, und die von ihnen als »unsere Leute« (bihe) bezeichnet werden. Trotz der Vielfalt der äußeren Erscheinungen sind alle Entitäten dieses Waldkosmos in einer engen, egalitären Gemeinschaft vereint, die als Ganzes der bedrohlichen und unbegreiflichen äußeren Welt entgegensteht, in der die »andersartigen Leute« (bi masign) leben: Malaien, Chinesen, Abendlandbewohner und andere indigene Völker. In diesem mit sozialem Leben gesättigten Kreis nehmen sich die Wesen, die dieselbe unmittelbare Umwelt teilen, als komplementär und voneinander abhängig wahr, wobei die ethische Verantwortung, für den guten Fortgang der Dinge zu sorgen, je nach der Funktion der Handlungen jedes einzelnen kollektiv getragen wird. Denn die Befolgung eines moralischen Codes kennzeichnet das Verhalten all derer, die ein reflexives Bewußtsein (ruwai) besitzen, Menschen wie Nichtmenschen. Wenn bestimmte Pflanzen und Tiere für die Chewong »Leute« (beri) sind, so deshalb, weil sie sich der gleichen kognitiven und moralischen Fähigkeiten erfreuen wie sie, aber auch, weil ihre Körper bei bestimmten Gelegenheiten mit denen der Menschen identisch sein können. Das ruwai ist die wahre Wesenheit der Person und ihr Individuationsprinzip, denn der Körper ist nur ein Kleid, dessen man sich vorübergehend entledigen kann, namentlich in den Träumen.
- Philippe Descolas, Jenseits von Natur und Kultur, Frankfurt am Main 2018.
KOSMOLOGIEN
[...], sondern damit deutlich wird, daß der Plan, den Beziehungen gerecht zu werden, die die Menschen zueinander und zu den Nichtmenschen unterhalten, sich nicht auf eine Kosmologie und eine Ontologie Stützen kann, die so fest in einem besonderen Kontext verankert sind wie die unseren. Deshalb werden wir zunächst aufzeigen müssen, daß der Gegensatz zwischen Natur und Kultur nicht so universell verbreitet ist, wie behauptet wird, nicht nur, weil er für alle anderen außer für die Modernen sinnlos ist, sondern auch, weil er im Verlauf der Entwicklung des abendländischen Denkens selbst erst spät in Erscheinung trat, wo sich seine Folgen besonders stark in der Art und Weise bemerkbar gemacht haben, wie die Anthropologie ihren Gegenstand und ihre Methoden betrachtet.
- Philippe Descolas, Jenseits von Natur und Kultur, Frankfurt am Main 2018, S. 14f.
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Von den üppigen Wäldern Amazoniens bis hin zu den eisigen Gegenden der kanadischen Arktis konzipieren einige Völker die Einfügung in die Umwelt auf eine ganz andere Weise als wir. Sie denken sich nicht als soziale Kollektive, die ihre Beziehungen in einem Ökosystem verwalten, sondern als einfache Bestandteile eines größeren Ganzen, in dem keine wirkliche Unterscheidung zwischen Menschen und Nichtmenschen besteht.
- Philippe Descolas, Jenseits von Natur und Kultur, Frankfurt am Main 2018, S. 40.
DIVERSE SPRACHSPIELE
VERBARIUM ist ein Projekt von Stefanie Wenner.
„In den hier als Illustrationen verwendeten Zeichnungen nutze ich die Umrisslinien gewachsener sowie von Menschen gemachter Objekte als Behältnisse und Vehikel für neue zeichnerische Bedeutungszuweisungen, die in immer wieder neuen Anordnungen immer wieder neue Beziehungen miteinander eingehen und so Geschichten erzählen – ganz ähnlich wie in der gesprochenen und geschriebenen Sprache.“